Ein Behandlungsschwerpunkt in unserem Reha-Zentrum
Experten schätzen, dass rund 7,5 Millionen Bundesbürger unter chronischen Schmerzen leiden. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Es zeigt sich eine stetige Zunahme der Häufigkeit von Rückenschmerzen. In den industrialisierten Ländern verursacht der chronische Schmerz, gemessen an der Prävalenzrate, der Ursache individuellen Leidens und in sozioökonomischer Hinsicht (entstehende Kosten durch Arbeitsausfälle, Frühberentungen und Belastungen des Gesundheitswesens) mehrere Milliarden Euro im Jahr
Die Internationale Gesellschaft zur Erforschung des Schmerzes (IASP) hat eine offizielle Definition des Schmerzes formuliert:
„Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- oder Gefühlserlebnis, das mit tatsächlicher oder potenzieller Gewebeschädigung einhergeht oder von betroffenen Personen so beschrieben wird, als wäre eine solche Gewebeschädigung die Ursache.“
Diese am akuten Schmerz orientierte Definition hält fest, dass der Schmerz in aller Regel ein mehrdimensionales Ereignis ist, dessen Hauptkomponenten aus einer reinen Sinnesempfindung und einem unlustbetonten Gefühlserlebnis bestehen.
Wir als Gesamtteam der Psychosomatik handeln nach einem interdisziplinär und multifaktoriell ausgerichteten Behandlungsmodell, das die komplexen Wechselwirkungen des Nervensystems, des muskuloskelettalen Systems und die psychosozialen Aspekte der Erkrankungen berücksichtigt
Das bio-psycho-soziale Modell
Das bio-psycho-soziale Modell betont die Wechselwirkung von körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren. Wir gehen davon aus, dass ursprünglich körperliche „Probleme“ chronifizieren können, wenn psychische und soziale Faktoren dysfunktional sind. Wir vermitteln den Rehabilitanden, dass eine chronische Schmerzstörung sich auf die Bereiche der Psyche und des sozialen Umfeldes auswirkt.
Psychische Belastungen ergeben sich bei chronischen Schmerzpatienten oft in Form von
Das Krankheitsverhalten mit Funktionsverlust, Schonverhalten und einer „Patientenkarriere“ beeinträchtigt das Ausmaß der Aktivität des Rehabilitanden. Und die Einnahme einer „Krankenrolle“ bedeutet in beruflicher Hinsicht Fehlzeiten und eventuelle Berentungen sowie in der Partizipation eine Veränderung der sozialen Rolle und die Isolation.
Dieser Prozess der Chronifizierung wird den Rehabilitanden von uns vermittelt, so dass deutlich wird, dass zur Behandlung ihrer Beschwerden multimodale Maßnahmen und integrative Behandlungsansätze notwendig sind. Dementsprechend werden in unserer Klinik chronische Schmerzrehabilitanden auf den drei Ebenen der drei Faktoren biologisch, psychisch und sozial behandelt. Durch unsere integrative Sichtweise werden die Rehabilitanden ganzheitlich betrachtet und nicht auf ihre körperlichen oder psychischen Defizite reduziert.
Aus dem beschriebenen bio-psycho-sozialen Modell leiten sich unsere Leitlinien zur Behandlung von Schmerzrehabilitanden und die im Folgenden genannten Therapieziele ab, die unter Berücksichtigung der individuellen Ziele in Absprache mit dem Rehabilitanden festgelegt werden:
Unser Therapiekonzept bietet ein umfassendes Portfolio zur Auseinandersetzung mit der Schmerzstörung. Dabei spielen folgende Bestandteile eine bedeutende Rolle:
Hierbei sind die genannten psychologischen Verfahren sinnvoll, denn das Spektrum der Verhaltensbeeinträchtigungen durch chronische Schmerzen reicht von Bewegungsdefiziten über eine allgemeine Dekonditionierung über intensives Schonverhalten bis hin zum Rückzug aus verschiedenen sozialen Beziehungsgefügen (Verarmung der Freizeitaktivitäten, familiären Aktivitäten, Arbeits-, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit).
Es ist uns wichtig, die Selbstverantwortung und die Eigenaktivität der Betroffenen zu stärken. Mit den Rehabilitanden erstellen wir ein individualisiertes Behandlungsprogramm durch gemeinsame Entscheidungsfindung.
Die Befunderhebung steht am Beginn der multimodalen Therapie und basiert auf den beiden Säulen:
Die zu Beginn des stationären Heilverfahrens gemeinsam entwickelten und weiter oben ausgeführten Therapieziele, die der Verbesserung sowie dem Erhalt der Funktionsfähigkeit im Alltag dienen, bilden die Grundlagen für die Erarbeitung des individuell mit dem Rehabilitanden abgestimmten Therapieplanes während seines Aufenthaltes
Die Psychotherapie in unserer Rehabilitationsklinik wird von Diplom-Psychologinnen und Psychologischen Psychotherapeuten (Verhaltenstherapie und psychodynamische Psychotherapie) durchgeführt. Strategien der Schmerzbewältigung (Identifikation schmerzerhaltender Muster, Entspannung, Aktivierung) haben eine wichtige Funktion zur Motivierung des Rehabilitanden. Bei komorbiden psychischen Störungen (affektive Störungen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen) werden die psychotherapeutischen Verfahren in unserem Hause durchgeführt, die in den Leitlinien der Psychotherapeutischen Fachgesellschaften der AWMF genannt werden. Die Reduktion schmerzassoziierter Verhaltensweisen, der Erwerb von Selbstkontrollüberzeugungen, Bewältigungsstrategien und allgemeiner körperlicher Funktionsfähigkeit ist dabei ein wichtiger Behandlungsbestandteil.
Im Rahmen der psychotherapeutischen Einzelsitzungen wenden wir die patientenzentrierte Kommunikation an. Eine Umattribuierung der Schmerzen als weniger „schlimm oder bedrohlich“ wird in Verbindung mit wieder erhöhtem Aktivitätsniveau von den Rehabilitanden als signifikanter Erfolg erlebt. Die psychotherapeutische Behandlung soll den Rehabilitanden in die Lage versetzen, nach Ende der Rehabilitation eigenständig Schmerzen, psychischen Disstress und Alltagsbelastungen wie aktuelle berufliche und familiäre Belastungs-, Überforderungs- und Konfliktsituationen zu bewältigen.
Der Rehabilitand soll ein „Mittelmaß“ finden zwischen Überforderung und Schonverhalten, denn diese beiden Extreme finden sich häufig bei Schmerzrehabilitanden. Gemeinsam mit den Rehabilitanden erarbeiten wir einen „Mittelweg“, der dem häuslichen Alltag der Rehabilitanden gerecht wird und den sie umsetzen können.
Bei der Diagnose eines Fibromyalgie-Syndroms wird die Information über Krankheitsbild, Ursachen und Behandlungs- und Schulungsmöglichkeiten als erste therapeutische Maßnahme durchgeführt. Die Ziele dieser psychoedukativen Intervention sind Vermittlung eines individuellen Erklärungsmodells zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen, Entwicklung von Perspektiven für die Verbesserung der Krankheits- und Alltagsbewältigung sowie die Stärkung der Selbstverantwortung für das Leben mit der Erkrankung und das Aufzeigen von Selbsthilfemöglichkeiten. Dies beinhaltet zudem eine Förderung der Schmerzbewältigungskompetenzen durch Entwicklung von adäquaten Strategien im Umgang mit den Schmerzen und den Abbau von dysfunktionalem Schonverhalten sowie Förderung der Mobilität und des Aktionsradius. Die Fähigkeit des Rehabilitanden zur „Selbstfürsorge“ wird gestärkt und er wird unterstützt bei der Planung und Einhaltung einer angemessenen Tagesstrukturierung. Das Erlernen wirksamer Entspannungs- und Stressbewältigungsstrategien, der Abbau selbst- und fremdüberfordernder Verhaltensweisen und die Veränderung dysfunktionaler Kognitionen bezüglich des Leistungsmotivs werden in den einzeltherapeutischen Sitzungen ebenfalls thematisiert und bearbeitet.
Die beschriebenen Inhalte werden in den psychotherapeutischen Einzelsitzungen, die wöchentlich stattfinden und den Gruppentherapiesitzungen (zweimal pro Woche 90 Minuten) er- und bearbeitet.
Es werden die oben genannten Themen vertieft sowie die Gate-control Theorie, die Lenkung der Aufmerksamkeit, der Unterschied zwischen akutem und chronischem Schmerz und der Einfluss von Schmerz besprochen. Die Indikativgruppe Schmerzbewältigung baut auf dem Marburger Schmerzmodell (Kröner- Herwig, Basler) und dem „Back to balance“- Modell (Möller et al.) auf und integriert diese beiden Ansätze. Während der Sitzungen haben die Rehabilitanden Gelegenheit, eigene Erfahrungen und ihr Wissen einzubringen, dadurch voneinander zu lernen und sich Kenntnisse über die chronische Schmerzstörung und deren Bewältigung anzueignen.
Die Umstellung der Medikation auf ein festes Einnahmeschema und die Reduktion abhängigkeitserzeugender Substanzen, insbesondere von Opiaten, können wichtige begleitende Maßnahmen sein. Wir richten unsere medikamentöse Therapie entsprechend aus und arbeiten eng mit den Rehabilitanden zusammen, um die Compliance bezüglich der Medikamenteneinnahme zu stabilisieren oder zu erhöhen. Der Chefarzt, die Oberärztin und die Stationsärzte der Abteilung nehmen die Medikation vor. Im Rahmen der wöchentlichen Facharztvisite durch den Chef- bzw. die Oberärztin wird die Medikation, insbesondere natürlich die Analgetika, entsprechend überprüft bzw. validiert. Insbesondere wird auch großer Wert auf eine adäquate psychoedukative Aufklärung der Rehabilitanden hinsichtlich möglicher medikamentöser bzw. alternativen Therapiemöglichkeiten gelegt. Die Ärzte der Abteilung verfügen über profunde, schmerzmedizinische Kompetenzen.
Die somatotherapeutischen Maßnahmen unseres Hauses verfolgen die Ziele einer Schmerzreduktion, einer Verbesserung der Muskelausdauer, einer psychovegetativen Stabilisierung, Stabilisierung der paravertebralen und extremitätenumspannenden Muskulatur, Lockerung der Muskulatur, Stabilisierung der allgemeinen Kondition und Erhöhung der Ausdauerleistung, Gewichtsreduktion und Detonisierung und Ausgleich der muskulären Dysbalancen.
Die Physiotherapie dient dazu, die Rehabilitanden zu aktivieren und die oftmals vorhandene „Angst vor der Bewegung“ und dem damit einhergehenden Schmerz zu reduzieren. Dies dient der Adaption an Beschwerden im Alltag (Aktivitätsmanagement). Wir achten darauf, dass die Behandlungsmaßnahmen, die auch Ausdauertraining mit Kraft- und / oder Flexibilitätstraining, Chirotherapie und Osteopathie sowie aerobes Ausdauertraining beinhalten, an das individuelle Leistungsniveau des Rehabilitanden angepasst sind. In unserem Hause bieten wir Krankengymnastik-Einzelbehandlung indikationsspezifisch, begleitende Krankengymnastik als Wirbelsäulen-Gymnastik in der Halle, Krankengymnastik im Bewegungsbad, freies Schwimmen, Fahrradergometrie, MTT/Sequenztraining und Walking an. Ein besonderes Angebot ist die täglich stattfindende „Spezialgruppe Schmerz“, die bei Rehabilitanden durchgeführt wird, deren Schmerzsymptomatik so beeinträchtigend ist, dass die regulären Krankengymnastikgruppen eine zu hohe Anforderung an die Rehabilitanden stellen.
In der Physiotherapie werden Bewegungsabläufe trainiert und Übungen durchgeführt, die der Rehabilitand im häuslichen Alltag auch im Anschluss an die stationäre Rehabilitationsmaßnahme anwenden kann.
In der Ergotherapie können ebenfalls Bewegungsabläufe eingeübt sowie kognitive Einbußen oder noch vorhandene Fähigkeiten der Rehabilitanden ermittelt w erden. Die „Handgruppe“ ist z.B. bei Rehabilitanden mit Fingerarthrose oder mit amputierten Fingern indiziert.
In der physikalischen Therapie wenden wir Teilkörpermassagen, Fangopackungen, verschiedene Bäder und Interferenzstrom an.
Als Entspannungstraining vermitteln wir den Rehabilitanden zwei Mal wöchentlich die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson und das Autogene Training (einmal pro Woche). Dies dient der Steigerung der psychophysischen Entspannungsfähigkeit. Die Rehabilitanden haben auch die Möglichkeit, an der „imaginativen Entspannung“ teilzunehmen, die von der Abteilung Rekreationstherapie angeboten wird.
Ein weiterer Bereich unserer multimodalen Therapie ist die Diätetik, die dem Aufbau gesundheitsfördernder Verhaltensweisen zur Gewichtsreduktion dienen kann. Die Rehabilitanden können mit ärztlicher Verordnung zur Ökotrophologin des Hauses zu einer individuellen Ernährungsberatung gehen und erhalten Ratschläge, die sie in der Lehrküche umzusetzen lernen.
Für chronische Schmerzpatienten ist dies wichtig, da gesunde Ernährung und ein Normalgewicht bedeutsam sind für das körperliche Wohlbefinden und für das Ausmaß von Schmerzen.
Die naturgemäß seltene Hilfsmittelversorgung mit Bandagen, Gehhilfen etc. erfolgt direkt im Hause in enger Kooperation mit der orthopädischen Abteilung der Klaus-Miehlke-Klinik und in Zusammenarbeit mit einem ortsansässigen Sanitätsfachhaus. Es findet täglich eine orthopädische Sprechstunde statt, zu der die Rehabilitanden nach ärztlicher Konsilanforderung gehen und sich die Hilfsmittel holen oder anpassen lassen können.
Die Freizeittherapie bietet den Rehabilitanden mannigfaltige Möglichkeiten, ihre therapiefreie Zeit zu gestalten. Die Angebote reichen von Ausflügen zu Sehenswürdigkeiten, Stadtrundgängen und Museumsbesuchen bis hin zum Seidenmalen und verschiedenen Spielen. Dadurch werden die sozialen Kontakte abseits der „Störungen“ und die Fokussierung auf euthyme Beschäftigungen gefördert, die unsere Rehabilitanden oft lange vernachlässigten.
Ein wichtiger Bestandteil insbesondere für Schmerzrehabilitanden unseres Behandlungsangebotes zur Unterstützung bei der Regelung und Klärung der beruflichen Perspektiven ist der Sozialdienst des Hauses. Dem Rehabilitanden werden z.B. Informationen zur Beantragung eines Grades der Behinderung, Zahlungen von Übergangsgeld vermittelt und ausgehändigt. Auch werden alle Aspekte von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umgesetzt. Der Schwerpunkt liegt zunächst auf der Erfassung eventueller vorhandener familiärer oder beruflicher Stressfaktoren. Unsere Mitarbeiterinnen des Sozialberatungsdienstes verfügt über vielfältige Erfahrungen im Umgang mit Schmerzrehabilitanden. Sie können bei vielen spezifischen Fragen (Familie, Finanzen, Beruf und Gesellschaft) Hilfestellung geben und gemeinsam mit dem Rehabilitanden Lösungsansätze erarbeiten. Dabei werden u. a. sozialrechtliche Probleme - wie z. B. lange Arbeitsunfähigkeitszeiten und damit verbundene drohende Arbeitslosigkeit - aufgegriffen und breitgefächerte Hilfen angeboten. Auch bei der Beantragung eines GdB (Grad der Behinderung) , bei der Vermittlung von ambulanten oder stationären Anschlussmaßnahmen oder von Hilfsmitteln sind sie behilflich.
Darüber hinaus nehmen sie bei Indikation und in enger Zusammenarbeit mit dem zuständigen Arzt oder Bezugstherapeuten Kontakt mit Arbeitgebern auf, z.B. um eine stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben, eine innerbetriebliche Umsetzung an einen leidensgerechten Arbeitsplatz etc. in die Wege zu leiten. Besonderes Augenmerk wird weitergehenden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewidmet. Eine ergonomische Anpassung des Arbeitsplatzes kann hilfreich sein. Eine solche schützt vor Überbelastung durch ungünstige Körperhaltungen oder mühsame Bewegungsabläufe.
Sollte bei einem Rehabilitanden neben der hausärztlichen Einbindung nicht bereits eine zusätzliche Anbindung an Fachärzte der verschiedenen indizierten Disziplinen bestehen, dazu zählen wir auch niedergelassene psychologische und/ oder schmerztherapeutische Kollegen, werden diese von uns empfohlen und mit dem Rehabilitanden Möglichkeiten besprochen, wie er diese in der heimatnahen Umgebung aufsuchen kann. Zum Nachsorgekonzept gehören auch weitere spezifische Empfehlungen, in der Regel für krankengymnastische Übungen, Ausgleichs- und Ausdauersport und spezifische Weiterverordnungen von Gesundheitsmaßnahmen, nicht zuletzt die Teilnahme an adäquaten Selbsthilfe-Gruppenangeboten. Jeder Rehabilitand erhält bei der Abreise einen vorläufigen Entlassungsbericht für den weiterbehandelnden Arzt, der neben der Aufenthaltsdauer die Diagnosen, die Medikation und die Nachsorgeempfehlungen enthält.