Jean-Christoph Schwager, Gruppentherapeut und Leiter des 55+-Konzepts in der MEDIAN Klinik Wigbertshöhe, spricht über die Herausforderungen der Einsamkeit in der Weihnachtszeit für ältere Menschen und gibt praktische Tipps, wie soziale Isolation überwunden werden kann.
Warum fühlen sich viele Menschen in der Weihnachtszeit besonders einsam?
Weihnachten ist eine emotional stark aufgeladene Zeit, die viele an ihre Kindheit oder an die Phase erinnert, in der die eigenen Kinder noch klein waren. Themen wie Familie, Partnerschaft und Beziehungen stehen stärker im Fokus. Auch die Auseinandersetzung mit Religion, beispielsweise durch den Kirchgang oder Weihnachtsmusik, wird intensiver wahrgenommen. Gesellschaftlich wird die Weihnachtszeit oft als harmonische und familiäre Zeit idealisiert. Es wird häufig hinterfragt, wie die Feiertage verbracht werden, ob Familienbesuche stattfinden. Gleichzeitig erzeugt die allgegenwärtige Weihnachtsstimmung in Geschäften, auf der Straße und in der Werbung eine gewisse Erwartungshaltung, der sich nur schwer entziehen lässt.
Welche besonderen Herausforderungen erleben ältere Menschen im Umgang mit Einsamkeit während der Weihnachtszeit?
Zur Weihnachtszeit scheint es, als würden alle Menschen die Festtage freudig im Kreis von Familie oder Freunden verbringen. Diese Wahrnehmung erzeugt einen sozialen Druck, die Feiertage ebenfalls in Gemeinschaft zu erleben. Wenn diese Erwartungen unerfüllt bleiben oder die Vorfreude auf Weihnachten fehlt, kann das Gefühl von Isolation und Einsamkeit verstärkt werden. Laut einem Bericht von Spiegel Online aus dem Jahr 2017 verbringen etwa drei Prozent der Deutschen zwischen 14 und 75 Jahren die Weihnachtstage allein zu Hause – hochgerechnet rund 2,4 Millionen Menschen. Alleinsein bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, einsam zu sein. Dennoch kann der Kontrast zwischen den eigenen Gefühlen und dem vermeintlichen Glück anderer das Gefühl von Einsamkeit intensivieren und in schweren Fällen sogar zu depressiven Phasen führen.
Wie können Betroffene erste Schritte unternehmen, um sich weniger isoliert zu fühlen?
Es gibt vielfältige Angebote, um Einsamkeit entgegenzuwirken. Soziale und karitative Einrichtungen wie Kirchengemeinden, Seniorentreffs oder Selbsthilfegruppen organisieren Treffen und Aktivitäten, die Gemeinschaft fördern. Reisebüros und Hotels bieten spezielle Veranstaltungen für ältere Menschen an, oft mit Fahrdiensten, die auch mobilitätseingeschränkte Personen einbeziehen. Im persönlichen Umfeld kann ebenfalls aktiv gehandelt werden. Es lohnt sich, auf Nachbarn oder Bekannte zuzugehen, die die Feiertage ebenfalls allein verbringen. Ein gemeinsamer Kaffee oder ein Essen an Weihnachten kann Verbindungen schaffen und das Gefühl der Isolation lindern.
Wie kann eine altershomogene Gruppe – wie im Spezialkonzept 55+ – helfen, ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl aufzubauen?
In altershomogenen Gruppen entsteht oft schneller eine vertraute Atmosphäre, da ähnliche Lebensphasen und Erfahrungen geteilt werden. Themen wie Gesundheit, Ruhestand oder Politik bieten gemeinsame Gesprächsgrundlagen. Gleichzeitig fördern positive Erlebnisse, etwa Gespräche über Literatur, Urlaubsziele oder Enkelkinder, den Austausch und stärken das Gemeinschaftsgefühl.
Hilft auch der Austausch mit anderen Altersgruppen dabei, Isolation zu vermeiden?
Der Kontakt zu jüngeren Menschen wirkt anregend, fördert die geistige Beweglichkeit und erweitert den eigenen Horizont. Mehrgenerationenhäuser sind ein gutes Beispiel dafür, wie bereichernd der Austausch zwischen Generationen für alle Beteiligten sein kann.
Welche Strategien können ältere Menschen anwenden, um ihre sozialen Kontakte in der Weihnachtszeit zu stärken?
Offenheit und die Bereitschaft, aktiv auf andere zuzugehen, sind wichtige Ansätze. Digitale Plattformen oder soziale Medien können ebenfalls genutzt werden, um Isolation zu verringern. Ehrenamtliches Engagement bietet eine weitere Möglichkeit, soziale Verbindungen zu stärken. Tätigkeiten wie die Mithilfe in Suppenküchen, Vorlesen oder Singen in Seniorenheimen sowie Spaziergänge mit Bewohnern schaffen nicht nur sinnvolle Aufgaben, sondern fördern auch den sozialen Austausch. Karitative Organisationen wie die Grünen Damen bieten Gelegenheiten, sich einzubringen und Kontakte zu knüpfen.
Wie können Angehörige oder Freunde dazu beitragen, Einsamkeit bei älteren Menschen zu lindern?
Aufmerksames Verhalten und der aktive Kontaktaufbau können viel bewirken. Es hilft, ältere Menschen, zum Beispiel aus der Nachbarschaft, einzuladen oder sie in alltägliche Aufgaben einzubinden, wie etwa bei der Kinderbetreuung. Solche Interaktionen schaffen Nähe und geben das Gefühl, gebraucht zu werden. Mitmenschlichkeit und ein offener Blick für die Bedürfnisse anderer können einen großen Unterschied machen.
Welche Möglichkeiten gibt es für Menschen ohne Familie oder Freunde in der Nähe?
Selbsthilfegruppen und karitative Organisationen bieten häufig Weihnachtsfeiern oder gemeinschaftliche Aktionen an. Es ist hilfreich, frühzeitig nach solchen Angeboten zu suchen und diese in die Planung einzubeziehen. Mit einem proaktiven Ansatz lassen sich die Feiertage auch ohne Familie positiv gestalten.
Wie kann die Gesellschaft insgesamt dazu beitragen, Einsamkeit in der älteren Bevölkerung zu verringern?
Gesellschaftlich sollten Ehrenämter stärker gefördert und Begegnungsstätten geschaffen werden, die den Austausch erleichtern. Initiativen wie Mehrgenerationenhäuser, Seniorenbüros oder digitale Schulungsprogramme für ältere Menschen sind wertvolle Ansätze. Wichtig ist zudem, ein Altersbild zu fördern, das nicht nur Defizite wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit betont, sondern auch die positiven Aspekte des Älterwerdens – wie Lebenserfahrung und Ressourcen. Ziel sollte eine Kultur der Begegnung und des Miteinanders sein.